Endlich wieder im Motorradsattel, endlich wieder den Asphalt unter den Rädern - drei Tage Irkutsk (Иркутск) mit vollem Tagesprogramm können ganz schön anstrengen. Auch wenn die Stadt, wie manch andere schon, sich in unsere Herzen geschummelt hat, ist es trotzdem wieder befreiend, sich vom Grossstadtrummel zu lösen.
Sofort nach der Stadt tauchen wir abermals in die schier undurchdringlich anmutenden Wälder der Taiga ein. Unsere Route führt 60 km weiter östlich zum Baikal (Байкал), dem grössten Süsswassersee der Erde. Auf und ab, links und rechts, wie bei einer Achterbahnfahrt lässt der Strassenverlauf mit seiner auffallend guten Asphaltqualität unsere Bikerherzen höher schlagen. Kurz darauf stehen wir am Ufer des Baikals. Eine Perle der Natur, ein Sinnbild der Schönheit, ja ein göttliches Geschenk eröffnet sich vor unseren Augen. Allein dieser See ist schon eine Reise wert.
Wir überqueren den Abfluss der Angara, um neben einer 100 km langen Bahnstrecke entlang des Südufers den südlichsten Zipfel des riesigen Gewässers anzusteuern. Eigentlich existiert hier nur ein schmaler Pfad neben den wenig befahrenen Gleisen, welchen wir als Geheimtip dess Uralfahrers Andreas (siehe letzter Bericht) zugesteckt bekommen haben. Kilometer für Kilometer mit stetem Blick auf's Wasser balancieren wir zwischen Strommasten und Schienen langsam gen Süden.
Bald wird der Pfad schmaler, dann nur noch partiell erkennbar, bis er sich vollends im hohen Gras verliert. Was nun? Eine kurze überlegung bringt die einzige Lösung. Von einem Russen bekommen wir ein stabiles Brett schräg durchgesägt, welches uns unkompliziert ins Gleisbett befördert, wo wir unsere Fahrt weiter fortsetzen. Zwei Moppeds auf Schienen gibt schon ein merkwürdiges Bild ab. An einem Bahnhöfchen halten wir, um nach der Zeit zu fragen. "Sbassiba!" und weiter gehts... Verdutzt schauen uns die Umherstehenden nach.
Bald ist der Bahnschwellenzwischenraum nur noch notdürftig aufgefüllt, so dass die rhythmische, stärker werdende Belastung unsere Maschinen samt Aufbau gewaltig durchschüttelt. Da die noch vor uns liegenden 80 km eine zu grosse Inanspruchnahme der Moppeds, des Trägersystems und der Ausrüstung zur Folge haben könnte, entschliessen wir uns zur Umkehr. Auch wenn diese Episode nicht zum Nachahmen empfohlen wird, war es uns trotzdem das Abenteuer wert.
Am nächsten Tag klettere ich zum Ufer runter, um einige Momente die besondere Baikalathmosphäre auf mich wirken zu lassen. über grosse Steine klettern zwei Russen am Wasser entlang. Nach längerem Beobachten merke ich, dass sie einer aussergewöhnlichen Art des Fischens nachgehen. Der Erste zieht mittels einer starken Sehne ein kleines flossartiges Konstrukt durch's Wasser. Der Zweite widmet seine Aufmerksamkeit der straffgespannten Sehne, an der in regelmässigen Abständen kurze Sehnen mit geköderten Haken auf der Wasseroberfläche schwimmen und siehe da, von Zeit zu Zeit holt er von einem der Haken einen mittelgrossen Fisch aus dem Wasser. Diese mir unbekannte Art des Nahrungserwerbs interessiert mich dann doch zu sehr. Ich frage die beiden, wie ihr System funktioniert, schaue mir ihr Schiffchen an und begutachte die Köder - einfachst und genial diese Angelmethode.
Begeistert kehre ich zum Zelt zurück. Nach kurzem Suchen finde ich ein gutgeeignetes Sperrholzbrett. Nur mit unserer kleinen Axt bewaffnet baue ich mir das soeben abgekuckte Flösschen nach. Sehne und Haken sind Bestandteil unserer Ausrüstung und nach wenigen Stunden stehe ich wieder am Ufer, um meinem Prototyp den Stapellauf zu geben. Kleine Optimierungsarbeiten verbessern merklich das Gleitverhalten meines katamaranähnlichen Schwimmholzes und schon wandere ich den Russen gleich am steinigen Baikalufer entlang. Etwas enttäuscht kehre ich nach einer Stunde mit lehren Händen zum Zelt zurück. Russische Fische müssen wirklich blöd sein, wenn sie meine Köderfliegen einfach so ignorieren. Vielleicht war es auch schon zu spät oder es schwammen keine Fische mehr im See, jedenfalls war mein Flösschen ein perfekter Nachbau!
Die nächsten Tage erkunden wir die südöstliche Uferregion des Baikals, aber diesmal auf sicherem Asphalt. Leider haben die Russen intelligenter Weise eine Bahnstrecke dicht entlang des Ufers gebaut, so dass man schwer direkt ans Wasser gelangen kann. Ausserdem trübt noch eine traurige Beobachtung unsere sonst eigentlich durchaus positiven Eindrücke rings um den Baikal (Байкал). Egal wo wir Rast machen, finden wir stets in Ufernähe Müll, den die russischen Touristen als Zeichen ihres einstigen Besuchs in grossen Mengen hier hinterlassen haben. Auch wenn sonst über die Russen nur Lobenswertes über unsere Lippen kommt, müssen an dieser Stelle harte Worte ausgesprochen werden: Diese wirklich einzigartige Perle der Natur ist für nationale oder auch internationale Baikalbesucher, die dem See dieses Erbe hinterliessen eine "Perle vor die Säue"!!!
Trotzdem gibt es für den Baikal (Байкал) genügend Anlass zur Hoffnung, denn die gesamte Nordseite des Sees ist touristisch überhaupt noch nicht erschlossen und kann nur im Winter über das Eis erreicht werden. Bleibt also zu hoffen, dass der See dort seine natürliche Schönheit und Jungfreulichkeit behält.