20. Reisebericht in KaWe - Kurier 18/04

China III
Peking - Shanghai, 8. - 13. Oktober 2003, km 19300

Nach dem einwöchigen Aufenthalt in Chinas Hauptstadt, der uns genügend Kraft gab für die nächsten Kilometer, sitzen wir endlich wieder im allzuvertrauten Motorradsattel. Geschwinde entfernen wir uns von dem grossen fetten Punkt auf der Landkarte. Wir durchfahren wieder eine Stadt nach der anderen, dann reihen sich zahllose Dörfer aneinander. Wenn wir zum Einkaufen oder zum Auffüllen der Wasservorräte vom Bock steigen, umlagern uns sofort die viel zu vielen kleinen Chinesen wie eine grosse Familie. Die meissten Fragen ähneln sich: "Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin?" " Wir kommen aus Peking und fahren nach Shanghai." " Oh, nach Shanghai! Bis nach Shanghai ist es aber noch weit." Diese oft zu hörenden Antwort zaubert uns stets ein Schmunzeln ins Gesicht. Mit Absicht verraten wir den Leuten hier nicht, wie weit wir bisher wirklich schon gefahren sind. Ist es doch immer noch etwas Besonderes, über die Landesgrenzen hinaus zu verreisen. Hier zählt es schon, wenn man die ebenso beachtlichen Strecken zwischen den einzelnen chinesischen Metropolen zurück legt. Seitdem wir in China unterwegs sind, dienen uns ausnahmslos abgeerntete Felder als Zeltuntergrund. Die Landschaft zeigt sich der Jahreszeit entsprechend herbstlich. Die Umgebung malt in friedvollen beigen und braunen Pasteltönen. Oft überholen wir riesengrosse, die gesamte Fahrspur einnehmende und vor sich hintuckernde Berge von abgeernteten Maispflanzen. Nur in der Vorderansicht verrät eine kleine Frontscheibe, dass sich unter dem wandelnden Schilfhaufen ein Traktor versteckt, Balanzierende Fahradfahrer transportieren mit Maiskolben überfüllte Körbe in schwindelerregende Höhen auf ihrem Vehicle gestapelt. Auf den Dächern der die Strasse begleitenden Hütten leuchtet das Goldgelb der zum trocknen ausgelegten Maiskolben. Tief versunken in jener chinesischen Herbstzeitstimmung wache ich plötzlich auf, als Tropfen meine Nasenspitze berühren. Klar, auch der Regen gehört zu dieser Jahreszeit. Schnell wird der Niederschlag stärker und manifestiert sich in unbestechlicher Kontinuität. Mit einem Mal wandeln sich die bilderbuchartigen Herbstszenen in unabwählbares Grau in Grau. Die Nebelschwaden auf den Feldern scheinen sich fast mit den bedrohlich tiefhängenden Regenwolken zu vereinigen. Der Blick zum Horizont zerschmettert jeden Ansatz von Hoffnung auf Wetterbesserung. Im Nu weicht der Felduntergrund auf, die ohnehin schon dünngesäten befahrbaren Feldwege werden unpassierbar. Die einzigen farbenfrohen Tupfer in der sonst trostlosen, graumonotonen Umgebung bilden die bunten Regencapes der chineischen Fahrrad- und Mofafahrer. Am Abend rutschen wir auf einem glitschig, matschigen Feldweg dahin, auf der Suche nach einer Campingmöglichkeit. Zwischen zwei aufgeweichten Äckern können wir dann wählen und entscheiden uns dann für den linken. Am Morgen beschreibt ein monotones Tribbeln auf's Zeltdach kurz und knapp die Wettervorhersage für den nächsten Tag. Die Anfahrt zum rettenden Asphalt motiert zur Schlammschlacht. Jeder nächste Tag gleicht auf's Plattern dem Hervorgehenden. Nach vier eklig, kalten und nassen Regentagen besitzen wir nur noch eine trockene Montour. Die Felder sind mittlerweile unbefahrbar geworden und so zwingen uns die Umstände, ein "Hotel" anzusteuern. Für 2 Euro das Doppelzimmer bereuen wir die Entscheidung nicht. Die Moppeds werden in der Eingangshalle geparkt und die nasse Kleidung zum "Tropfen" aufgehängt. Der folgende Morgen strapaziert mit seinem "Tripp - Tripp" unsere Gemütsverfassung. Es steht fest, wir müssen heute Shanghai erreichen, koste es was es wolle! Ähnlich wie vor Peking nimmt auch vor dieser Metropole der Verkehr rapide zu. Alles staut sich schon hunderte Kilometer vor der eigentlichen Stadt. Am Nachmittag geschieht ein wahres Wunder, denn wir durchbrechen die uns unendlich erscheinende Niederschlagsfront. Sogar einige Sonnenstrahlen muntern uns auf, als wollen sie uns sagen: Los , kommt! Das schafft ihr. Doch kämpften wir zuvor mit dem Regen, kämpfen wir jetzt mit dem unbeschreiblichen chinesischen Verkehr. Regeln gibts nicht. Alles drückt und schiebt. LKW-Fahrer schüchtern die vor ihnen fahrenden schwächeren Verkehrsteilnehmer mit ihren Mördertrompeten ein. Nur noch 150 km bis Shanghai. Jetzt nur die Ruhe bewahren. Die Blechwände der Strassenriesen kommen unseren Seitenkisten oft bedrohlich nahe. Dann verpasst uns das Schicksal doch noch einen gehörigen Denkzettel. Nur noch im Augenwinkel erkenne ich einen LKW, der sich hupend, verboten frech einen Zentimeter zu weit nach vorne schiebt. Es macht "krach" und Lo meldet samt Maschine Bodenkontakt. Scheisse! Ich eile ihm zu Hilfe. Sein rechtes Bein klemmt unter der Seitenkiste. Mit Hilfe des ungeschickten Chinesen richten wir sein Motorrad wieder auf. Dann geleiten uns die überaus freundlichen Ordnungshüter zum örtlichen Krankenhaus. Die ärztliche Diagnose mittels Röntgenbild entschärft die Situation. Kein Bruch, nochmals gutgegangen. Trotz der erheblichen Schmerzen Lo's entscheiden wir uns für die letzen Kilometer bis nach Shanghai. Die einsetzende Dunkelheit erschwert uns enorm das Vorankommen. Mit nur 50km/h tasten wir uns durch den Blechwald unserem langersehnten Ziel entgegen. Erschöpfung und Müdigkeit werfen uns nicht mehr aus der Bahn. Die Vorfreude auf Shanghai nährt unsere nun unerschöpflich scheinende Motivation. Dann verdichtet sich der Häuserdschungel beiderseits der Strasse. Ich verfolge die schwindenden Kilometer auf den Schildern. Nur noch 30, dann 20 und 10. Hochhäuser, Hochstrassen und allgemeines Grossstadtflair eröffnen sich um uns herum. Eine letzte Biegung und wir fahren auf der Strasse parallel zur berühmten Uferpromenade dem "Bund" von Shanghai. Auf dem Bürgersteig seit ab des Verkehrswahns, stellen wir unsere treuen Maschinen auf den Seitenständer. Eigentlich schade. Nun haben wir einen Traum weniger. Doch ein unsagbares Gefühl des Triumpfes, der Genugtuung und Freude bemannt sich unser. Shanghai ist doch gar nicht so weit. Man braucht nur knappe 6 Monate...