Nachdem wir den Dreischluchtenstaudamm am Jiangtsekiang mitten in China besichtigt haben, erfüllt uns nur noch ein Gedanke. Wir wollen so schnell wie möglich in den hoffentlich wärmeren Süden. Auf einer kleinen Strasse verlassen wir das Südufer des Jiangtse und folgen dem Strassenlauf, der uns höher und höher über ein Bergmassiv führen soll. Unsere ohnehin schon fröstelnden Glieder werden nun erst recht von Temperaturen knapp über dem Nullpunkt durchgeschüttelt. Dann tauchen wir auch noch in einen tief hängenden Wolkenteppich ein bis irgendwann das Asphaltband abreisst. Der folgende weg wird unbefahrbar und so bleibt uns nichts weiter übrig, als umzukehren und den ganzen Weg durch die Wolken zurück zu zittern. Dann nehmen wir die sicherere Variante und befahren besser ausgebaute Pisten. Der scharfe kalte Wind und der uns entgegenpeitschende Regen kühlt unsere Edelstahlkörper schnell aus. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als an einer Tankstelle eine Pause einzulegen. Anfangs suchen wir noch vergebens nach einer Wärmequelle, doch südlich des Jiangtse kennt man in China das Wort Ofen oder Heizung nicht mehr. So krallen wir uns an den mit heissem Wasser gefüllten Plastikbechern fest, die uns bereitwillig an jeder Tankstelle gereicht werden. Nach ein paar Bissen Brot oder Kuchen beginnt mein inneres Kraftwerk wieder zu arbeiten und lässt mich die nächsten 100 Kilometer durchhalten. Es vergeht eine ganze Woche, bis die Temperatur langsam wieder nach oben krabbelt. Mit einem Mal bemerke ich die wunderschöne Bergwelt, die uns schon seit Tagen umgibt. Als wenn die Chinesen Angst hätten, zu verhungern, sind ihre märchenhaft zur Landschaft passenden Terassenfelder bis in schrägste Hanglagen sorgfältig angelegt. Kein Feld bleibt sich selbst überlassen und gleicht nicht im Geringsten einem anderen. Landwirtschaftliche Maschinen würden den überall in grosser Zahl vertretenden kleinen Schlitzaugen nur die Arbeit wegnehmen und so haben alle Felder eine handliche Grösse. Ihre kurvenreich geschwungenen Linien passen sich durchaus gekonnt dem Relief der einzelnen Hügel und Berge an. Jedes Terassenfeld besitzt eine fusshohe Kante, dass mit Hilfe des ausgeklügelten Bewässerungssystems das Wasser auch dort ankommt, wo es gebraucht wird. Ob Wurzel, Stengel, Blatt, Blüte oder Frucht, jeder Pflanzenteil findet hier Verwendung. Über unzählige kleine Trampelpfade befördern die Feldarbeiter alles Erntemögliche. In grossen geschulterten Keepen oder in zwei links und rechts befindlichen Körben, welche an einer über dem Rücken balanzierten Bambusstange befestigt hängen, sehen wir sie oft, wie kleine Wichtelmänner zum Dorf marschieren. Es ist einfach eine andere Welt, die uns umgibt. Obwohl wir jede kleinste andersartige Erscheinung mit grösstem Interesse verfolgen, avanziert eine Art chinesische Gesetzmässigkeit für uns bald zu einem essentiellen Problem. Es scheint in china keinen Ort zu geben, an dem es keine Chinesen gibt. Mögen unsere nächtlichen Rastplätze noch so versteckt und abgelegen ausgewählt worden sein, garantiert besucht uns während des Abendbrotes oder spätestens zum Frühstück ein kleiner Wuschelkopf. Nie schaffen wir es, in völliger Abgeschiedenheit unsere Tagebücher, Briefe oder Reiseberichte zu schreiben. Überaus ausdauernd schauen sie uns beim Formen der lateinischen Schriftzeichen über die Schulter oder beobachten unsere Kochritualien. So kämpfen wir uns Tag für Tag durch die chinesische Bergwelt. Tagsüber erschweren uns in ähnlicher Regelmässigkeit auftauchende Strassenbaustellen das Vorwärtskommen. Von Zeit zu Zeit wechselt das Gesicht der Berge von unauffälligem Hügelland zu imposanten, teilweise skurile Formen annehmenden Karstlandschaften. Bis hin zu gebirgshaften Felsformationen. Die Temperaturen nähern sich unterdes weiterhin dem Wohlfühlbereich. Exotische Pflanzen wie Palmen oder Bananenstauden mischen sich nun in beachtungsheischender Vielzahl in das den Strassenzug begleitende Bild der Flora. Später begrüssen uns auch Bambusstauden oder Eukalyptusbäume. Dann erreichen wir eine weitere chinesische Grossstadt. In Kunming besorgen wir uns burmesische Visa und kehren nach einigen Tagen schon dem Grossstadtgetümmel den Rücken, um erneut in die nun schon fast dschungelhafte Bergregion einzutauchen. Die rapide abnehmende Zahl der Terassenfelder deutet auf die ebenfalls schwindende Bevölkerungsdichte hier im äussersten Südwesten Chinas hin. Mit der Annäherung an die chinesisch - burmesische Grenze stehen wir unmittelbar vor einem nächsten grösseren Problem. Natürlich wissen wir um die äusserst touristenunfreundlichen Einreisebestimmungen des vor uns liegenden unscheinbaren Landes. Doch unsere derzeitige Situation bietet uns keinen Weg drum herum. Also heisst das für uns: Ab durch die Mitte!