4. Reisebericht in KaWe - Kurier 30/03

Ukraine I
Ciestochova - Kamienica Polska, 6. - 21. Mai, km 2100

Es ist immer wieder jammerschade, wie schnell die Zeit vergeht. Eine gute Woche nahmen wir uns Zeit, um unser Nachbarland Polen von einer uns sehr sympatischen Seite kennenzulernen. Da die Visa uns in einen bestimmten zeitlichen Rahmen drängen, verlassen wir dieses Land der Felder und reisen am 8. Mai 2003 in die Ukraine ein.

Die erste Begegnung in diesem Land, welches wir das erste Mal bereisen, dürfen wir in positiver Erinnerung behalten. Eine supernette, typisch ukrainisch Familie lässt uns auf ihrer Wiese unser Zelt aufschlagen. Die Unterhaltung fällt uns bedeutend leichter, da Ukrainisch sehr dem Russischen ähnelt. Außerdem war Russisch früher zu Sowjetzeiten Landessprache.

Es wird viel gelacht. Wir lernen Oleg kennen. Er ist Zahnarzt und hat nach unserem Ermessen für ukrainische Verhältnisse eine äußerst moderne Praxis. Seine Frau Nina, erfahren wir, studiert zur Zeit in Deutschland. Die achtjährige Olessja, seine Tochter, freut sich schon, weil Mama in einer Woche zu Besuch kommt. Die Oma mit ihren 72 Jahren unterrichtet noch im nahegelegenen Grenzort Rava Ruska unsere Muttersprache. Seit 42 Jahren lehrt sie den ukrainischen Kindern deutsch. Trotzdem sind wir die ersten Deutschen, die sie kennenlernt.

Da wir ständig zu den Mahlzeiten eingeladen werden, überfällt uns das schlechte Gewissen. So werden wir am darauffolgenden Tag zu ukrainischen ABM-Kräften. Lo hilft das gehackte Holz zu stapeln und ich schleppe mit zwei Eimern der Oma das Brunnenwasser auf's Feld, um die noch jungen Gemüsepflanzen zu giessen. So fällt es uns schon leichter, die erneute Einladung zum Mittagessen anzunehmen.

Nach diesem ersten Aufenthalt fahren wir am 10. Mai tiefer in die Ukraine hinein. Da wir die stark befahrenen Transitstrecken meiden, zwingt uns die zunehmende Zahl der Schlaglöcher auf den kleinen Straßen zu erhöhter Aufmerksamkeit. Vermehrt überholen wir Pferdefuhrwerke. Ein Auto zu besitzen ist hier schon nicht mehr selbstverständlich. Wir fahren durch Lviv, einer grossen Stadt im äußersten Westen der Ukraine. Die Strassen und Häuser wirken trostlos, alt und langweilig. Es gibt wenig Neues und doch fällt mir auf, dass auf dem Land extrem viele alte Menschen anzutreffen sind. Die jungen Leute ziehen bei Zeiten in die Städte. Hier ist die Chance eine Arbeit zu bekommen auf jeden Fall grösser. Noch dazu verdient man hier durchschnittlich besser als auf dem Land.

Wir bewegen uns weiter südöstlich, die Karpaten fest im Visier. Die teilweise schlechte Ausschilderung der Strasse macht Lo, der ständig die Landkarte auf seinem Tankrucksack studiert, ratlos. So fragen wir in Kalusch nach dem Weg und lösen somit mitten auf der Strasse einen kleinen Tumult aus. Immer mehr Leute kommen und wollen uns helfen. Sie streiten sich darum, welcher Weg der bessere bzw. der richtige sei, die Situation wird zu komisch und letztendlich müssen wir alle laut lachen.

Wir erreichen die ersten Ausläufer der Karpaten und lernen eine Familie kennen, die sich fast überschlägt, uns ihre ukrainischen Spezialitäten darzubieten. Wir schieben unser selber gekochtes Abendessen beiseite, um all die Köstlichkeiten zu probieren. Dann bieten sie uns frischgemolkene Kuhmilch zum selbstgebrannten Wodka an, gewöhnungsbedürftig, aber es landet ja so und so alles in einem Magen. Danach kommen noch die Verwandten zu Besuch und jeder erzählt ein bisschen aus seinem Leben. Wo die Worte nicht ausreichen, benutzt man Hände und Füsse.

Am nächsten Morgen brechen wir wieder auf und tauchen nun tief ein in die wunderschöne Landschaft der Karpaten. Hier soll es noch Bären und Wölfe geben und ich kann mir gut vorstellen, wie Meister Isegrim ungestört unserer knatternden Blechhaufen über die Strasse trottet. Wir fahren in ein Tal, wie man es schöner nicht malen kann, einfach himmlisch. Dieser Platz gefällt uns, hier bleiben wir.

Nach drei Tagen treibt uns das schlechte Wetter wieder aus den Bergen. Unser Weg führt über Kosiv nach Kamenz Podelska. Nach mehrmaligen, erfolglosen Versuchen die Batterie meiner Maschine wieder aufzuladen, suchen wir uns in dieser Stadt eine KFZ-Werkstatt. Irgendetwas stimmt mit dem Starterrelais nicht. Ich bin sehr erfreut über die Tatsache, dass wir nach noch nicht einmal 2000 km das erste Mal unser Werkzeug auspacken dürfen. Da genau das gleiche Problem bei Los Maschine noch kurz vor der Abfahrt auftrat, ahnen wir schon, was da auf uns zukommen soll. Nach mehreren Schreckensdiagnosen, Batterie kaputt, Starterrelais kaputt, Starter kaputt, wird unsere vorausgehende Annahme bestätigt. Bei beiden Motorrädern (XT 600) setzte schon nach 7000 km das Starterrelais aus, welch ein Zufall.

An dieser Stelle ein besonders lieber Gruss an die Firma Yamaha, Danke, Jungs!

Wir verbringen vier Tage in Kamenz. Die Schrauber hier sind äußerst interessiert an unserem Problem. Diese Mischung von überzeugender Kompetenz, unendlicher Geduld bei Verständigungsproblemen und herzlicher Menschlichkeit lässt mich dieses Land einmal mehr in's Herz schliessen. Ein neues Relais ist uns einfach zu teuer und so verabschieden uns die Werkstattleute ungewöhnlich herzlich. Wir überbrücken einfach dieses schsch...öne Relais und fahren mit neu gekaufter Batterie endlich wieder in Richtung Osten.