6. Reisebericht in KaWe - Kurier 32/03

Ukraine III
Strugan - Kerch (Керч), 24. Mai - 4. Juni, km 3000

Etwas Demut schleicht sich in unsere Gemüter, bleiben uns doch nur noch ein paar Tage unseres Ukraineaufenthalts. Ich muss sagen, wir wurden von den Ukrainern ganz schön verwöhnt. Viele schöne Erlebnisse können wir in Erinnerung behalten.

Als wir zum Beispiel am Abend des 25. Mai bei einem Ukrainer unser Zelt errichten dürfen, sitzen wir auch schon zusammen und essen gemeinsam Abendbrot. Wir haben Bauernfrühstück zubereitet und unser Freund Michael stellt lecker gebratene Spiegeleier und Eiersalat mit einer Art Schnittlauch auf den Tisch. Jeder nimmt von jedem etwas und das Gespräch lässt nicht lange auf sich warten. Die hintergründige Musik, die wir kontinuierlich hören, meint Michael, komme von einer Hochzeit im Dorf, und ob wir nicht Lust hätten, eine original ukrainische Hochzeit mitzuerleben.

Wir können gerade mal unser verblüfftes "ja" über die Lippen bringen und schon sitzen wir nach nun mehr als 12 Jahren das erste Mal wieder in einem original Moskwitsch. Die Schlaglöcher der schwer maroden Dorfstrasse, die uns arge Pobleme bereiteten, scheint es für den Moskwitsch nicht zu geben. Er schaukelt uns so weich über den löchrigen Asphalt, dass wir unsere Begeisterung schwer verbergen können. In der Dorfschule ist ja eh nix los während der 3-monatigen Sommerferien, und so kann man da ruhig auch mal Hochzeit feiern. Nachdem wir dem Hochzeitspaar vorgestellt wurden, werden alle Gäste zu Tisch gebeten, und so sitzen wir in nullkommanichts zusammen mit mehreren Babuschkas an der Festtafel und können gar nicht so schnell gucken, wie hier der Wodka verdampft.

Alle möglichen Tricks nutzen nichts, dem Wodkakonsum Einhalt zu gebieten. Unsere Gläser sind immer voll, auch wenn wir sie gerade eben erst ausgetrunken haben. Michael spricht von einem Toast, den wir dem Hochzeitspaar nachher aussprechen sollen. Wie? Was? Toast? Aber wir können doch gar kein russisch oder ukrainisch? - zu spät! Die anderen Gäste schauen schon erwartend zu uns herrüber. Na dann - mein Herz rutscht in die Hose, ich steh auf und sage auf deutsch, wer wir sind und dass es uns sehr freut, hier zu sein. Michael übersetzt, denn er absolvierte früher in der ehemaligen DDR seinen Militärdienst und hat ein paar Worte Deutsch gelernt. Dann wünsche ich noch auf Russisch viele Kinder und viel Glück für das junge Paar - pooh - geschaft! Mein Herz klettert wieder nach oben.

Dann wird draussen getanzt und wir retten uns ebenfalls vor die Tür, um nicht im Wodkadauerdelirium zu enden. Im Saal singen die angeheiterten Gäste in reiner a-Capella-Manier mit voller Kehle die für mich so wunderschön klingenden ukrainischen bzw. russischen Volksmelodien. Leider muss auch dieser Abend irgendwann einmal zu Ende gehen, und so sitzen wir wieder wankend im Moskwitsch auf der Nachhausefahrt.

Wir bewegen uns nunmehr in grossen Schritten auf die Krim zu. Da wir in letzter Zeit ein wenig gebummelt haben, bleibt uns nicht mehr all zu viel Zeit, bis unsere Visa ablaufen. In einem kleinen Dorf kurz vor der Krim besucht uns am Vormittag sogar eine Schülerdelegation der hiesigen Dorfschule. Ihre Deutschlehrerin spricht fliessend Deutsch und so beantworten wir viele Fragen. Wir fühlen uns sehr geehrt und am Ende mach wir noch zwei Fotos. Adressen wechseln den Besitzer und schon stehen wir ziemlich verdattert wieder alleine vor unserem Zelt. Deutschunterricht zum Anfassen - wir fangen an zu lachen und packen für die Weiterfahrt.

Ich wollte schon immer mal auf die Krim, denke ich als wir den Grenzposten passieren dürfen, denn die Krim ist eine autonome Republik. Damals wusste ich nur noch nicht, dass ich die Reise dorthin auf dem Landweg mit einem Motorrad unternehmen werde. Anfangs wirk die Halbinsel recht langweilig auf uns und in mir will sich schon Enttäuschung breitmachen, als im äussersten Süden der Krim Berge auf Interessanteres hoffen lassen. Nach Sewastopol erhebt sich zwar eine Bettenburg nach der anderen aber dadurch, dass die touristischen Ausmasse noch längst nicht mit den unseren zu vergleichen sind, ignorieren wir diese Seite der Medaille einfach und erfreuen uns an der nun wirklich ausgesprochen schönen Berglandschaft.

Auf der längsten Trolleybusstrecke der Welt (80km lang) bewegen wir uns weiter nach Osten zum Grenzort Kertsch. Hier wollen wir am 4. Juni nach Russland einreisen, doch so leicht macht man uns es dann doch nicht. Nachdem wir unsere fast letzten Taler beim Tanken, Einkaufen und im Internetcafe gelassen haben, kaufen wir uns ein Fährticket und ab geht's zum ersten Abfertigungsschalter. Alles klar Jungs! Die zweite Hürde ist auch kein Problem. Beim dritten wichtigen Grenzbeamten fragt man uns nach einer sogenannten Immigration Card. Wie bitte? Man zeigt uns kleine, grüne Kärtchen, auf denen wohl Personalien und ähnliches vermerkt werden. Wir beteuern den Beamten, dass wir solche Karten nie ausgehändigt bekommen haben, aber den Grenzern liegt die Vermutung näher, wir hätten diese Scheine verloren. Beide gleich auf einmal? Doch auch mit Logik kommen wir nicht weiter. Der Chef der Grenzstelle (kaum älter als wir) lässt uns in seinem Büro Platz nehmen. Auch sein erstaunlich gutes Englisch führt zu keiner Problemlösung. Da wir ja arme Reisende sind, hilft auch ein zur Kasse bitten nichts und die Angelegenheit wandert zum nächsthöheren Beamten, dem örtlichen Dorfpolizisten. Doch auch hier demonstrieren wir Beharrlichkeit frei nach dem Motto: keine Geld aber viel Zeit, und so warten wir und warten wir. Wir wissen, den Grenzern sitzt die Fähre im Nacken. Die könnten sie ja einfach fahren lassen, ohne uns, doch die Jungs haben sich selbst ein Kuckucksei in's Nest gelegt, denn unsere Pässe sind schon abgestempelt. Dann erzählen sie uns noch etwas von Gefängnis und Strafe und lassen uns dann plötzlich ohne jeglichen Bürokratismus auf die Fähre. Soll einer die Jungs verstehen. Uns waren sie trotzdem sympatisch. Ob es wohl auch in Russland so nette Ordnungshüter gibt?