9. Reisebericht in KaWe - Kurier 45/03

Russland III
Samara (Самара) - Novosibirsk (Новосибирск), 24. Juni - 13. Juli, km 10000

Die russische Gastfreundschaft lösst in uns immer wieder von Neuem Verwunderung aus. Meistens in Situationen, in denen wir es am wenigsten erwarten, zeigt sich die russische Seele von ihrer wärmsten und herzlichsten Seite. An die Tage in Samara (Самара) bei Alexej, den wir kurzerhand auf der Strasse kennenlernten, denken wir stets gern zurück.

Kaum haben wir die Stadt verlassen, tauchen wir wieder in ein ausgedehntes Regengebiet ein. Einer Einladung Alexejs Eltern folgend, führt unser Weg nach Buruguslan. Dort angekommen, werden wir fast wie alte Bekannte begrüsst. Hier haben wir Gelegenheit, einmal die russische Banja (Sauna) zu testen. Es ist eine willkommende, entspannende Abwechslung zu den oft stressigen Tagen auf der Strasse. Danach wartet ein üppiges Abendmahl auf unsere ausgehungerten Mägen. Dabei unterhalten wir uns mit der ausserordentlich sympatischen Familie.

Seit Samara (Самара) haben wir einige Probleme mit der Zeitumstellung. Die Zeitzonen bringen uns kräftig durcheinander. Sascha, Alexejs Bruder, fragt uns, welche Zeit wir denn wissen wollen. Bei der transsibirischen Eisenbahn richte sich alles nach Moskauer Zeit und in Samara (Самара) gelte eine andere Zeit, als vor und nach der Stadt. Nun sind wir völlig verwirrt und jedesmal, wenn ich Sascha nach der Uhrzeit frage, kommt die Gegenfrage, welche Zeit ich denn wissen wolle.

Am nächsten Tag organisiert Sascha spontan ein Treffen mit der hiesigen Regionalzeitung Buruguslaner Prawda. Auch hier sind die Leute supernett und überschütten uns mit Fragen. Nach dem Interview gibt es noch einen herzlichen Abschied und wieder fahren wir allein durch dieses grosse, weite Land. Die überquerung des Urals wird zu einer einzigen Tortur. Da wir, wo möglich, die grossen Transitstrecken meiden, befahren wir häufig kleinere Strassen und nicht selten fehlt denen jeglicher Belag. Hier ist die Luftfeuchte schon so hoch, dass nach kurzzeitiger Erwärmung ein Gewitter nach dem anderen losbricht. So kämpfen wir uns auf den schlammigen Lehmwegen Kilometer für Kilometer voran, bis wir irgendwann, bereits Asphalt wieder unter den Füssen, vor einer Betonsäule am rechten Strassenrand halten. Mit ihrer Aufschrift ASIA markiert sie die kontinentale Grenze zwischen Europa und Asien.

Motiviert, diesen Streckenpunkt passiert zu haben, bewegen wir uns weiter gen Osten. Der Ural (Урал) liegt nun hinter uns, und vor uns die faszinierende Monotonie des sibirischen Sumpflandes. Das uns täglich umgebende Panorama ist schnell beschrieben: Weite, morastige Wiesen durchziehen die Landschaft. Dazwischen stehen mutige Birkenwäldchen, in der Hoffnung, nicht eines Tages vom Moor durchdrungen zu werden, denn überall sieht man abgestorbene Birkenstämme, denen der sumpfige Untergrund wohl nicht bekommen ist. überhaupt scheint es auf der Welt nur noch eine Spezies von Holzgewächsen zu geben. Birken begrüssen uns am Morgen, birken begleiten uns während des Tages und Birken sagen uns Gute Nacht. Auch sind wir äusserst geschickt, in der Wahl eines abwechslungsreichen Zeltstandortes. Das eine Mal campen wir auf einer Wiese vor einem kleinen Birkenwäldchen, das andere Mal zelten wir auf einem Grasstreifen hinter einem grossen Birkenwäldchen.

Die Mücken sind hier sehr freundlich. Sie begrüssen uns, so wie wir die Helme abnehmen. Für unser Autan haben sie nur einen kalten Flügelschlag übrig. Ein alter Schäfer verrät uns seine Wunderwaffe. Kamarex, welches wir uns sofort im nächsten Magasin besorgen, lässt uns diese sibirischen Sommertage um ein Vielfaches angenehmer in Erinnerung behalten.

Nachdem wir Ischim (Ишим), Tscheljabinsk (Челябинск) und Omsk (Омск) passiert haben, liegen nun schon 10000 km hinter uns. In dieser Zeit trafen wir keinen einzigen Langzeitreisenden – um so verwunderlicher für uns die folgenden Tage. Wieder auf der einzigsten West-Ost-Verbindungsstrasse sehen wir vor uns einen auffällig bunt gekleideten, schwerbepackten Radfahrer gegen den Seitenwind ankämpfen. Es ist ein Schweizer, der erstaunliche 150km am Tag auf seinem Velo dahinstrampelt. Sein Ziel: Einmal Baikal (Байкал) hin und zurück. Doch es kommt noch verrückter. Am nächsten Tag 50km weiter treffen wir ein tschechisches Pärchen auf einer Suzuki DR800big. Sie wollen in 35 Tagen die Strecke Prag – Baikal (Байкал) hin und zurück schaffen. Auch ihr Reisetempo ist uns etwas zu schnell.

Kurz nach diesem Treffen müssen wir meinen Vergaser säubern. Ein Stein hat sich im Einlassröhrchen verklemmt. Noch sind es lösbare Probleme, vor die wir tagtäglich gestellt werden. Alles wieder zusammengeschraubt, wollen wir gerade die Helme aufsetzen, als ein merkwürdiges Gefährt neben uns hält. Eine alte Ente mit Kastenaufbau und einer Weltkarte auf der seitlichen Karosserie zaubert uns ein Fragezeichen auf die Stirn. Wir lernen Sylvia und Gisbert kennen, die nun schon zwei Jahre mit ihrem Mobil unterwegs sind. Der Funke der Sympatie springt sofort über und so ist es nicht verwunderlich, dass wir mit ihnen auf einem kurzerhand improvisierten 4-Mannzeltplatz mitten im sibirischen Sumpfland geschlagene 3 Tage verbringen, an denen wir mächtig viel Spass haben. Gern währen wir mit ihnen eine Weile zusammengereist, doch leider sind sie in der Gegenrichtung unterwegs. Ihre eigene Internetseite www.SylviaundGisbert.de ist eine gute Adresse für Reiseinteressierte. Wiedermal müssen wir Abschied nehmen, was uns dismal mächtig schwer fällt.